Pressestimmen zum Machtclub

… über das Ende des Machtclubs

Mit der Spaß-Guerilla ist jetzt Schluss
Interview: Friederike Moldenhauer und Sven Amtsberg
Zwei der Machtclub-Macher über das Ende der beliebten Lesereihe nach acht Jahren

Nach acht Jahren ist Schluss: Morgen findet der vorerst letzte Machtclub im Malersaal statt - die große Dernière. Die junge Literaturreihe unterhält ihre Zuschauer mit ernsten und unernsten Abenden, in denen locker moderiert mehrere Gäste aus ihren Werken vorlesen. Friederike Moldenhauer und Sven Amtsberg sind zwei der neun Machtclub-Organisatoren und ziehen Bilanz.

MOPO: Acht Jahre Machtclub - wie wär's mit Eigenlob?
Friederike Moldenhauer: Wir haben es geschafft, mit junger Literatur sofort 350 Zuschauer in einen Raum zu kriegen. Wir haben verschiedene Autoren an einem Abend präsentiert und das Ganze lockerer aufgezogen als eine traditionelle Lesung. Daher gab es in den letzten Jahren einige Nachahmer.
Sven Amtsberg: Clubliteratur in dieser Größe und mit diesem Konzept gab es so nicht - auch nicht bundesweit. Wir haben durchaus die Hamburger Literaturszene verändert.
MOPO: Und wie haben Sie selbst sich verändert?
Amtsberg: Anfangs hatten wir nur ein bisschen Ahnung. Wir sind enorm professionell geworden - was die Zusammenarbeit mit Sponsoren, Verlagen und internationalen Autoren angeht. Dass wir überhaupt jemals im Schauspielhaus landen, hätten wir nie gedacht.
Moldenhauer: Mit der Professionalisierung ging auch die Etablierung einher. Wir sind von einer literarischen SpaßGuerilla zu einem Betrieb geworden, ein Unternehmen, das laufen muss.
MOPO: Funktioniert die Arbeit im Kollektiv immer?
Amtsberg: In unseren Ansätzen und literarischen Ambitionen sind wir sehr verschieden. Ein paar sind sehr für Trash-Entertainment zu haben, aber es gibt auch Ernstere bei uns. Es ist nicht schlecht, diese Mischung zu haben. Aber erstaunlich, dass wir noch miteinander reden und uns ausstehen können. Es ist wie eine Ehe zu neunt.
MOPO: Das Schauspielhaus hat Ihnen angeboten, vom Malersaal in die Kantine zu wechseln - warum haben Sie das abgelehnt?
Amtsberg: Es wäre ein Rückschritt. Nach Mojo und Malersaal wollten wir nicht in die Kantine.
MOPO: Aber die Zuschauerzahlen sind doch gesunken. Wäre es nicht angebracht, dem Rechnung zu tragen?
Moldenhauer: Es stimmt, wir leiden unter Zuschauerverlusten - allerdings auf hohem Niveau. Wir sind mit im Schnitt 150 Zuschauern immer noch eine gut besuchte Literaturveranstaltung. Die Frage wäre: Wie lange wollen wir hier in der Kantine dann noch den Machtclub machen? Da gibt es Alternativen - und ich vermute, bessere.
Amtsberg: Außerdem haben wir bei jeder Spielzeit überlegt, ob wir weitermachen oder uns eine Pause gönnen. Dies ist ein guter Zeitpunkt, unbestimmt lange auszusetzen. Wir müssen mal neue Impulse reinbringen.
MOPO: Aber noch ist der Machtclub nicht für tot erklärt?
Moldenhauer: Das wollen wir nicht. Aber ob er in seiner bekannten Form wieder auftaucht, ist die Frage. Nicht nur wir sind acht Jahre älter geworden - unsere Zuschauer auch.
MOPO: Was machen die 20-Jährigen von heute?
Amtsberg: Es gibt ja massenweise Poetry-Slams. Da ist jetzt das Publikum.“
Heiko Kammerhoff, Hamburger Morgenpost, 10.06.2008
www.mopo.de



… zur letzten Veranstaltung „Glitzer, wenn’s am schönsten ist“ Juni 2008

Plattitüden haben in der Literatur eigentlich nichts zu suchen - und es ist ganz klar eine Plattitüde, dass man immer aufhören soll, wenn's am schönsten ist. Die souveränere Variante ist, es sich, eben weil man aufhört, zum Abschluss noch einmal "am schönsten" zu machen. So wie der Machtclub, der nun nach der 71. und damit (erst mal? auf ewig?) letzten Ausgabe "Grande Dernière" feierte (und seinem Publikum erst mal erklären musste, was eine Dernière überhaupt ist).
Es ist: ein Vorhang aus nahezu echtem Blattgold, musikalische Gäste, die (auch!) irgendwie Hamburger Schule sind, Konfettiregen zum Finale und eine angemessen krude Gute-Macht-Geschichte, an der acht amtierende Machthaber sich in akute David-Lynch-Nähe geschrieben haben. Diese Eigenwilligkeit in Fortsetzung führte auch noch einmal vor, dass die Macht-Macher zwar als Kollektiv auftreten, aber literarisch Individualisten geblieben sind. Da schließt der schwarze Anzug des einen eben nicht die umgeschnallten Schmetterlingsflügel des anderen aus.
Die Gemeinsamkeit ist eh offensichtlich: "Es sieht gut aus, es geht gut aus", singt Frank Spilker, Frontmann von Die Sterne, zum Auftakt des Abends - und behält damit fast vier Stunden lang recht. Auch wenn es schade ist, dass nach dem Absprung von "Jägermeister" kein neuer Sponsor gefunden wurde, dass die Erwerber der zur Rettung gedachten "Machtclub"-Klubkarte so wenige waren, dass ihnen in 15 Sekunden namentlich gedankt werden konnte, und dass mit dem Machtclub nun - unfreiwillig - eine subkulturelle Institution der Stadt zu Ende geht - es ist doch ein Happy End geworden. Und damit der vergangenen acht Jahre würdig, in denen hochkarätige Schriftsteller - zunächst im Mojo-Club, seit 2003 im Malersaal - zu Gast waren, während schräge Running Gags dem Szenevölkchen jede Schwellenangst nahmen. Der Machtclub wird so für manchen der erste entscheidende Kontakt zum Literaturbetrieb gewesen sein, aus Fans von einst sind - siehe Kaffee.Satz.Lesen - inzwischen selbst rührige Lesebühnenveranstalter geworden.
Eine Ära vorbei also? Nicht ganz: Als zum Schluss Rio Reisers "Keine Macht für niemand!" aus den Boxen tönte, war längst der nächste Termin geplant: Am 18. Juni gastiert der Machtclub im Haus der Photographie. Titel: "Alles glitzert". Wenn's grad am schönsten war, muss man eben manchmal weitermachen.
Maike Schiller, Hamburger Abendblatt, 12.06.2008
www.abendblatt.de


… Machtclub als Phänomen

„Organisierte Literatur ohne Quotendruck: Machtclub zum Thema „Unser Kosmos“ im Malersaal des Schauspielhauses
Wenn Erfolg eine Sache ist, die sich in Zahlen darstellt, in Verkaufszahlen nämlich, dann ist Thomas Kapielski ein sehr erfolgreicher Autor. Zumindest war er es einen Abend lang. Es geschah am Stand der Hamburger Buchhandlung Cohen und Dobernigg, die in bewährter Manier das Merchandising übernimmt, wenn der Machtclub im Malersaal des Schauspielhauses zur Lesung lädt.
Die Buchhändler stapeln auf ihrem Klapptisch dann Sonderposten des gedruckten Wortes. Paperbacks von Poetry-Slams, Drucklegungen der Macht-Mitglieder – und natürlich auch die Bücher der eingeladenen SchriftstellerInnen. Literatur, die in kleinen Auflagen bei kleinen Verlagen erschienen ist und höchst selten in den Auslagen der Buchgeschäfte landet.
Von Kapielskis neuem Büchlein Weltgunst hatten die Literatur-Händler genau 23 Exemplare eingepackt – viel zu wenig, wie sich schnell herausstellte. „Ausverkauft“ hieß es nach zweieinhalb Stunden Machtclub. Kapielski, Berliner, 53 Jahre, hatte das Publikum überrollt mit seinen Geschichten. Der Mann ist ein Philosoph vom Schlage eines Harry Rowohlt, nur wesentlich weniger bekannt. Er bekommt eines Nachts Besuch vom Engel des Herrn, welcher ihm befiehlt, unverzüglich sieben Halbe trinken zu gehen. „Wo?“, fragt Kapielski. „Egal“, sagt der Engel. Also marschiert Kapielski zügig los, um weisungsgemäß „das himmlisch verordnete Quantum“ zu erfüllen. Du sollst nicht saufen um des Saufens willen.
So, wie sich Literaturhäuser um die Prominenz der Autorenschaft bemühen, so lädt der Machtclub jene ein, die in der zweiten Reihe stehen. Oder noch weiter hinter. Quotendruck gibt es hier nicht. Tobias Hülswitt hat dieses Jahr seinen zweiten Roman veröffentlicht, trotzdem liest er lieber eine alte Auftragsarbeit mit dem Titel „Ökölogie“, das scheint ihm besser zu gefallen. Andreas Entenmann trägt, eine Hand hält das Mikro, die andere seine Hüfte, paarreimige Lyrik vor.
Leichte Unterhaltung ist das nicht, im Dunkel des Malersaals regt sich dennoch kein Unwillen. Jeder darf, keiner muss. Im Raumanzügen, später oben ohne, „weil Alexander den Helm hinter der Bühne zertrümmert hat“, hüpfen Alexander Posch und Friederike Moldenhauer als Moderatoren über die Bühne.
„Unser Kosmos“ ist das Motto des Abends. Damit kann eigentlich nur der Mikrokosmos der organisierten Literatur gemeint sein. Eine Parallelwelt zu der schlechten Stimmung in der Buchbranche draußen, die über Umsatzeinbrüche klagt. Und im Machtclub kauern Menschen zweieinhalb Stunden auf Sitzkissen, um sich vorlesen zu lassen. Kaufen danach noch Buchbestände auf. Seltsam. In den großen Hamburger Buchhandlungen aber ist einer wie Kapielski nicht einmal vorrätig.“
Andrea Mertes, taz Hamburg, 12.11.2004


… über die 50. Veranstaltung

Sinn und Unsinn
Eine glitzernde Showtreppe, eine goldene 50 und jede Menge Lesestoff – der Machtclub feiert Jubiläum: 50mal ließen seine Macher lesen, sprechen, vortragen. Gefeierte und Unbekannte, Romanciers und Lyriker. Und sich selbst. Organisierte Literatur, die sich vom Untergrund ins Schauspielhaus gelesen hat – Prost und Glückwunsch dazu!
Tex Rubinowitz sitzt als erster Gratulant auf dem roten Lesesessel. Der Wiener Tausendsassa amüsiert mit sinnfreien Listen über Kommissar Derricks schwerste Fälle oder poetischen Phantasien über das Verwahrlosungspotential der eigenen Wohnung. Es folgt Vladimir Sorokin, berühmt-berüchtigtes Enfant terrible der russischen Literatur. Flüstert auf russisch aus seinem neuesten Werk „Bro“. Warum er das tut, bleibt schleierhaft. Mit Feridun Zaimoglu kommt schließlich auch „Leyla“ ins Spiel. Ihre Kindheit im Anatolien der Fünfziger, sein neuester Roman.
Nach „U“ und „E“ wird nicht getrennt: Sinn, Unsinn, böse Ironie und knallende Sektkorken sind kein Widerspruch – der Machtclub macht’s möglich, auch für die nächsten 50 Abende freier Literatur.
Hamburger Abendblatt, 16.03.2006
www.abendblatt.de



… als Akteur im Literaturbetrieb


„Das gediegene Literaturhaus von Ursula Keller und der popkulturelle Machtclub mit Friederike Moldenhauer und Gordon Roesnik bündeln das literarische Leben in Hamburg


WELT am SONNTAG: Leben Sie in literarischen Paralleluniversen, oder gibt es auch Gemeinsamkeiten?
Ursula Keller: Es gibt viele Berührungen in letzter Zeit. Viele der Autoren, die bei der Macht eingeladen sind, haben vorher bei uns im Literaturhaus gelesen.
Gordon Roesnik: Wir wollen die guten Autoren in diesen Machtkontext führen und sie in einer anderen Umgebung präsentieren.
WamS: Die Macht gilt als popkultureller Standort, das Literaturhaus als bildungsbürgerlicher. Inwiefern ist das Umfeld identitätsstiftend?
Roesnik: Ich glaube, das macht einen wesentlichen Unterschied. Es ist schwer das Publikum ins Literaturhaus zu bekommen, das sonst auf der Reeperbahn ist.
Keller: Ich hatte den Machtleuten angeboten, den Club im Literaturhaus zu machen. Aber ich denke, deren Entscheidung, das nicht zu tun, war richtig. Die Literatur, die da entstanden ist und ihr Publikum gefunden hat, ist stark mit diesem Umfeld verwachsen. Man sollte solche gewachsenen Strukturen nicht künstlich aufbrechen.
Friederike Moldenhauer: Wichtig ist auch die Geschichte. Macht wurde von Autoren initiiert. Das gibt uns eine andere Stoßrichtung, auch das Interesse sich zu etablieren und auf den Markt zu kommen. Wir wollen außerdem literarischen Nachwuchs fördern. Auf den Veranstaltungen hat ein lokaler Autor das Forum vor 350 Leuten zu lesen.
WamS: Die Macht arbeitet als Gruppe, Dr. Keller ist allein verantwortlich für das Programm. Was ist sinnvoller?
Moldenhauer: Wir haben durch die neun Leute einen extrem großen Pool an Erfahrungen.
Keller: Ich arbeite gerne allein. Ich kenne noch aus der Studentenbewegung die Mühseligkeit, als große Gruppe Entscheidungen zu treffen. Demokratie ist in Kunstsachen nicht immer der beste Ratgeber.
Roesnik: Wir delegieren, dass zwei Leute jeweils eine Veranstaltung machen und das Recht haben, die Gäste einzuladen, die sie wollen. Wir lassen uns den Raum, unsere eigenen Vorstellungen zu verwirklichen. Das ist meistens recht unkompliziert.
Keller: Das Literaturhaus ist darauf angewiesen, eine Programmkontur zu haben, eine deutlich erkennbare Handschrift. Für viele Autoren ist es ein Qualitätssiegel, hier zu lesen. Ich versuche immer auf einer Ebene des Anspruchs eine breite Vielfalt von Präsentationsformen und ein abwechslungsreiches Programm zu bieten.
Roesnik: Diesen Effekt, dass es eine Auszeichnung ist, bei uns aufzutreten, kennen wir mittlerweile auch. Wir haben ein Standing und einen Ruf zu verteidigen. Wir achten schon darauf, keine langweiligen Leute einzuladen.
Moldenhauer: Aber es kann auch eine hochetablierte Autorin vorlesen, und das Publikum knirscht mit den Zähnen. Es kommt eben auch auf die Tagesform an.
WamS: Achten Sie darauf, dass Literatur nicht zu einem Teil der Lifestyle-Industrie wird?
Keller: Ja, ganz entschieden. Dieser Hype um die junge Literatur verändert das literarische Klima im Land ungemein. Zum Beispiel, dass Qualität und ästhetische Kriterien aufweichen und durch ökonomischen Erfolg ersetzt werden. Ich sehe mich in der Pflicht, auf solche Phänomene kritisch zu reagieren. Natürlich ist es auch wichtig, dass ein guter Text mit einer gewissen Performance-Qualität vorgetragen wird.
Moldenhauer: Macht legt viel Wert darauf, dass die Autoren Vortragsqualitäten haben. Ein etablierter Autor würde nicht eingeladen werden, wenn er in sein Buch nuschelt.
WamS: Wie wichtig sind Publikumsdiskussionen auf Literaturveranstaltungen?
Roesnik: Die führen wir grundsätzlich nicht, weil das sehr steif werden kann. Wir versuchen immer zu ermöglichen, dass die Leute persönlich mit den Autoren reden können. Das ist meist ganz zwanglos möglich.
 Keller: Unser Publikum würde auf eine Diskussion bestehen. Ich glaube, die würden protestieren, wenn es nach der Lesung kein Gespräch mit dem Autor gäbe. Ich möchte nicht, dass Literatur konsumiert wird, sondern in den Reflektionsprozess eingebunden wird.
WamS: Ist Literatur noch sinn- und identitätsstiftend?
Keller: In westlichen Ländern schon längst nicht mehr. Der Autor ist ein Individuum, das für sich arbeitet. Jeder Schriftsteller würde zurückweisen, dass er als Sinnstifter für die Nation schreibt.
Roesnik: Das ist ja auch keine angenehme Aufgabe.
Keller: Man kann von einem Autor erwarten, dass er die Gegenwart auf Augenhöhe erwischt. Es macht die Wahrhaftigkeit eines Textes aus, ob er die Gegenwart nur an der schillernden Oberfläche packt oder grundsätzliche und strukturelle Entwicklungen zu fassen kriegt. Insofern ist eine Gesellschaft immer nur so klug, wie die Schriftsteller, die in ihr schreiben.
Roesnik: Die Instanz des erziehenden Autors, des geistigen Lenkers der Nation, ist Gott sei Dank verabschiedet worden. Aber das heißt nicht, dass die allgemeine Beliebigkeit ausbricht. Es geht individueller, vereinzelter und fragmentarischer zu. Aber darin liegt auch eine Chance für den Leser, sich selbst zu positionieren.
Moldenhauer: Ich finde den Begriff Trendliteratur treffender als Popliteratur. Ich habe den Eindruck, die viel zitierten jungen deutschen Popautoren schreiben auf den Markt hin und meinen den Trend zu produzieren. Eigentlich sind sie aber schon Jahre hinterher.
Keller: Weil sie eine überholte literarische Sprache sprechen. Sie halten sich für modisch, aber wie sie schreiben, ist alt wie Methusalem. Das sind zum Teil Erzählweisen aus dem 19. Jahrhundert. Ich glaube, dass man Pop total unrecht tut, ihn mit dieser Art von Literatur zusammenzubinden. Vor allem hat Pop auch einen eigenen Sprachgestus, während die jungen Literaten einen naiven Begriff von Authentizität haben. Sie erzählen ihre unmaßgeblichen Erfahrungen ungefiltert und von keiner sprachlichen Bearbeitung berührt.
Roesnik: Ich kann mich dem nur anschließen. Es gibt auch ein paar gute Leute, die versuche ich dann rauszufiltern und zu präsentieren. Aber den Effekt kenn' ich auch: Ich fange an, ein Buch zu lesen, und nach zwei Seiten finde ich es völlig banal.
Keller: Was ich so traurig finde ist, dass die es geschafft haben, für die junge Literatur repräsentativ einzustehen. Man muss Pop ganz energisch verteidigen, gegen die so genannten Popliteraten. Das ist auch das Thema der Reihe "Alles Pop, oder was? Wohin geht die junge Literatur?", die im September eröffnet wird.
Moldenhauer: Die Popliteratur wirkt wie ein Schneepflug. Sie öffnet den Markt für junge Autoren, die dadurch eine Chance bei den Verlagen kriegen.
Keller: Aber sie werden auch verheizt. Es gibt im Moment den Terminus des One-Hit-Wonders. Es wird mit einem Buch ein Geschäft gemacht, und dann ist der Autor weg vom Fenster. Ihm wird die Chance genommen, sich langsam in eine Schriftstellerexistenz hineinzuschreiben und zu erfahren, was Arbeit an der Sprache bedeutet.
Roesnik: Die Anzahl von guten neuen Autoren ist über die Jahre relativ konstant geblieben. Aber jetzt gibt es mehr auf dem Markt und da drohen sie unterzugehen. Ein positiver Punkt ist jedoch, dass diese manchmal banale Literatur viele Leser anspricht und Jugendliche an Bücher heranführt.“
Hella Körnich, Welt am Sonntag, 06.08.2001
www.wams.de


… als Akteur im Literaturbetrieb

„Auch 30 Jahre nach Auflösung der Gruppe 47 formieren sich neue Autorenzirkel. Doch die sozialpolitischen Interventionen sind regionalen Interessen gewichen. Im Mittelpunkt der gemeinsamen Aktivitäten steht der Alltag der Schriftsteller.

Bildunterschrift: Unter dem Titel „Macht e.V.“ haben sich in Hamburg Autoren, Verleger und Veranstalter zusammengeschlossen, um die regionale Literaturszene zu beleben.


„Intellektuelle, wo seid Ihr?“, lautet der Hilferuf des Publizisten Klaus Harpprecht in der Mai-Ausgabe des soeben gestarteten Kultur-Politik-Magazins „Cicero“. „Wo verkriechen sie sich, jetzt, da man sie in der Misere unserer politischen, sozialen, moralischen Verlegenheiten der Gemüter und der Verkarstung der Köpfe so dringend brauchte?“
Der als Frage formulierte Befund, der in den Folge-Ausgaben von „Cicero“ prompt Widerspruch erntete, lässt sich analog auf den Literaturbetrieb übertragen. Wo sind die Schriftsteller, die sich ins Geschehen jenseits ihres Schreibtisches einmischen? In tagespolitische, branchenaktuelle oder auch nur rein literaturästhetische Debatten?
Dem veränderten Selbstverständnis der Schriftsteller entspricht der Wandel von Literatenzirkeln in den vergangenen Jahrzehnten. Hatte die Gruppe 47, das „Zentralcafé einer Literatur ohne Hauptstadt“ (Hans Magnus Enzensberger), sich noch zur Aufgabe gemacht, zur Erneuerung von Literatur und Gesellschaft nach dem Schrecken des Nationalsozialismus beizutragen, fehlen heutzutage vergleichbare Autoren-Bündnisse. Zwar hat die Verbreitung des Internet, die Organisation von literarischen Netzwerken erleichtert und einige ins Leben gerufen – Beispiele sind die von Thomas Hettche 1999 koordinierte Internet-Anthologie „Null“ oder der seit mehreren Jahren im Web aktive Autoren-Pool „Forum der 13“. Ihr Anspruch ist in der Regel jedoch fern von bundesweit wirkenden gesellschaftspolitischen Interventionen.
„Den Autoren von heute ist es wichtiger, sich bei Veranstaltungen zu präsentieren, als sich gemeinsam über politische oder ästhetische Fragen zu verständigen“, analysiert Joachim Leser den Zeitgeist der Literaten. Der frühere Ammann-Pressesprecher und jetzige Herausgeber des Internet-Literatur-Portals  HYPERLINK "http://www.bluetenleser.de" www.bluetenleser.de befragte 1995 insgesamt 55 Gegenwartsautoren, ob der Betrieb eine neue Gruppe 47 brauche. „Je jünger die Befragten, desto unwichtiger erachteten sie eine solche Nachfolge-Vereinigung“, fasst Leser das Ergebnis seiner wissenschaftlichen Studie zusammen. In ihrer Ausdrucksweise unangefochten blieb Elfriede Jelinek, die den Zirkel nachträglich als „Sadistenvereinigung“ würdigte.
 
Eher Macher als Theoretiker
„Wir verstehen uns eher als Macher denn als Theoretiker“ beschreibt Hartmut Pospiech die Intention von Macht e.V., die symptomatisch ist für das weite Feld an Autorenvereinigungen. Der im Frühjahr 2000 gegründete Verein ist ein Zusammenschluss von Autoren, Verlegern und Veranstaltern aus der Hamburger Literatur-Szene, die monatlich Lesungen veranstalten. Zwar tauschen die derzeit zehn „Machtmacher“ auf ihrer Internet-Plattform auch literarische Texte aus und konzipieren gemeinsam Anthologien der Hamburger Text-Schule. „Unser gemeinsamer Nenner ist jedoch, interessante Literatur unter die Leute zu bringen“, erklärt Pospiech.
In seinem regionalen Bezug ähnelt das Netzwerk der Machtmacher der im August 2001 formierten „Rheinischen Brigade“ einen Zusammenschluss von Autoren, die sich ihre Bekenntnis zur rheinischen Region und Mentalität („Toleranz, Weltoffenheit, relaxter Humanismus“) auf die Fahnen geschrieben haben. Allerdings – im Unterschied zur Hamburger Schule – kombiniert mit dem Willen zum politischen Einspruch. "„Wir möchten den Autor als politisch handelnde Person fördern“, erläutert der Kölner Dichter Stan Lafleur die gemeinsame Parole.
Viele Autoren spürten ihre Aufgabe, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Die Brigade sei nicht gewillt, den Autor ausschließlich in der Rolle eines bürgerlich-individualistischen Karrieresubjekts gedrängt zu sehen. Doch gefragt nach dem gemeinsamen politischen Weltbild, bleibt die Botschaft der Brigadisten schwammig. „Unsere Politik zeigt sich in den literarischen Texten“, verweist der 36-jährige Lafleur auf die Internet-Anthologie der Rheinischen Brigade.
Auch wenn die Gruppe 47 in ihrem gesellschaftspolitischen Anspruch eine Lücke hinterlassen hat, die von heutigen Schriftsteller-Vereinigungen nicht in Ansätzen gefüllt wird – zumindest an der Diskussion um literaturästhetische Fragen beteiligen sich jüngere Autoren in verschiedenen Zirkeln rege. Auf regionaler Ebene beispielsweise das „Forum junger Autorinnen und Autoren“ aus Hamburg, in dem alle zwei Wochen eigene Texte vorgestellt und kritisiert werden. Einige der ehemaligen Mitglieder wie Karen Duve („Regenroman“, Eichborn) oder Mirko Bonné („Der junge Ford“, DuMont Literaturverlag) sind inzwischen bei Verlagen unter Vertrag.
 
Bachmann nach Vorbild der Gruppe 47
Der bekannteste literaturkritische Zirkel bleibt die Klagenfurter Bachmann-Preisverleihung, die – federführend durch Marcel Reich-Ranicki – nach dem Vorbild der Gruppe 47 entworfen wurde, jedoch für sich längst nicht mehr in Anspruch nehmen kann, als Generalvertretung der deutschen Literatur zu wirken. Seit Jahren müssen sich die Veranstalter der Kritik aussetzen, dass sowohl die Auswahl der Texte als auch die Zusammensetzung der Jury mangelhaft sei. Dennoch hat sich der Bachmann-Preis als Marktagentur behauptet: Den Siegern des Wettlesens ist ein Verlagsvertrag inzwischen sicher.
Hinter den Kulissen der massenmedialen Öffentlichkeit trafen sich demgegenüber rund 40 Vertreter der Bücherbranche vor drei Jahren auf Schloss Elmau: Schriftsteller, Verlagsmitarbeiter und Kritiker, die auf persönliche Einladung des Autors Matthias Politycki und nach strengen Regeln drei Tage lang über den Literaturbetrieb diskutieren wollten. Inzwischen findet das Treffen jährlich statt und vereinzelt dringen auch Korrespondentenberichte vom Schloss an die Öffentlichkeit – die unisono die hohe Qualität der Diskussion loben. „Ich kenne kein Forum, das einen ähnlich intensiven Austausch über Literatur und Literaturbetrieb ermöglicht“, berichtet Luchterhand-Lektor Klaus Siblewski.
So einig sich die Teilnehmer über das hohe Niveau der Elmauer Gespräche sind. Uneins sind sie sich in der Frage, ob sich die Gruppe künftig stärker in den Literaturbetrieb einmischen soll – ein offenbar symptomatisches Dilemma.“
Daniel Lenz, Buchreport Magazin, August 2004
www.buchreport.de